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Nachgefragt – Im Gespräch mit Melanie Fechner: Bibliotheken als dritte Orte 

Impulse aus der Praxis

20.06.2025

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„Wir haben uns in den letzten Jahren oft die Frage gestellt, wie wir mit den Fahrbibliotheken noch mehr zu dritten Orten werden können.“

Melanie Fechner

Der Landesverband Bibliotheken Schleswig-Holstein ist das Dienstleistungszentrum hinter den rund 150 öffentlichen Bibliotheken in Schleswig-Holstein und Träger der 12 Fahrbibliotheken im ländlichen Raum. Neben den klassischen bibliothekarischen Aufgaben, wie die Förderung von Sprach- und Medienkompetenz unterstützt der Landesverband Bibliotheken dabei, sich zu dritten Orten zu entwickeln. 

 

Das Konzept der Bibliothek als dritter Ort, neben Zuhause und Arbeitsplatz, gewinnt zunehmend an Bedeutung. Was macht die Bibliothek als dritten Ort im ländlich geprägten Schleswig-Holstein aus?  

Bibliotheken sind beliebte Orte. Nach wie vor nutzen die Menschen das breite Informationsangebot der Büchereien in Schleswig-Holstein gerne, erzählt Melanie Fechner. „Darüber hinaus sehen wir aber: Der Drang, sich zu treffen oder sich an einen Ort zurückzuziehen und auch im öffentlichen Raum zu lernen oder eine Zeitung zu lesen hat an Bedeutung gewonnen,“ berichtet sie weiter. 

Dem Landesverband und den Bibliotheken in Schleswig-Holstein ist es deshalb wichtig, dass sich die Besucher:innen in ihren Räumlichkeiten wohlfühlen. Hierfür schaffen sie beispielsweise mehr Sitzgelegenheiten und Begegnungszonen, oder nutzen niedrigere Regale, um eine gemütliche Atmosphäre zu schaffen und die Aufenthaltsqualität zu erhöhen.  

Beispiele wie diese Räume mit Angeboten gefüllt werden, gibt es viele, wie Melanie Fechner erzählt: Ein Handarbeitstreff – zum Stricken und Klönen, Sprachcafés und auch ein Tisch mit Puzzeln schafft wunderbare Gelegenheiten, sich zu treffen und ins Gespräch zu kommen. Manchmal entsteht daraus ein Tauschregal oder sogar ein ganzer Aktionstag, an dem sich die Gemeinde trifft und vielleicht eine neue Community entsteht. 

„Schön ist es, wenn Menschen den Ort entdecken und dann eigenständig für sich nutzen“, betont Melanie Fechner. So treffen sich in einer Bücherei regelmäßig selbstorganisiert Skatspieler:innen. Die Bibliotheken müssen in den meisten Fällen nicht regulierend eingreifen. Es sei denn, sie führen beispielsweise eine Liste mit interessierten Skatspieler:innen und können so Partien vermitteln – oder es kommt doch einmal zu Konflikten. Hier müssen die Verantwortlichen im Einzelfall entscheiden, wer alles einbezogen werden sollte und wie die Uneinigkeiten gemeinsam gelöst werden können. 

Vielen Konflikten, kann aber vorgebeugt werden, erzählt Melanie Fechner. Für abgetrennte Lernräume, gibt es beispielsweise einen Reservierungskalender, in dem reguliert wird: Wie lange dürfen die Räumlichkeiten genutzt werden? Vielleicht auch über die Öffnungszeit hinaus? Bei institutionellen Kooperationen können Kooperationsverträge abgeschlossen werden. 

 

Dritte Orte lassen sich nicht im Alleingang umsetzen. Sie brauchen die Zusammenarbeit unterschiedlicher Fachlichkeiten und Ebenen, wie etwa Kreis, Kommune oder Zivilgesellschaft. Welche Akteur:innen waren bei erfolgreichen Projekten in Schleswig-Holstein besonders wichtig, um Bibliotheken zu gern genutzten dritten Orten zu machen? 

Neben der Verwaltung ist auch die Politik für die Entstehung von dritten Orten entscheidend, stellt Melanie Fechner klar. Allein schon, weil sie darüber entscheidet, wofür die Finanzen eingesetzt werden. Entscheider:innen müssen sich also klar für Bibliotheken als dritte Orte aussprechen. 

„Außerdem ist es toll, wenn die ganze Zivilgesellschaft mitzieht“, betont sie dann lächelnd.  Mit Bildungseinrichtungen, wie Schulen und Kitas arbeiten Bibliotheken beispielsweise schon sehr lange und gut zusammen. Wenn die Bibliothek ein dritter Ort sein soll, können sich hier auch Vereine, Initiativen oder Ehrenamtliche noch stärker einbringen und Angebote machen. 

Zusätzlich gibt es kommunale Institutionen vor Ort, mit denen Bibliotheken zusammenarbeiten können, wie zum Beispiel die Volkshochschule. In kleineren Kommunen, die keine Vor-Ort-Volkshochschule haben können Bibliotheken auch Veranstaltungsort sein. „Ich war gerade letzte Woche wieder in einer Bibliothek, die so viel Fläche hat, dass die Volkshochschule dort sogar Tai-Chi Kurse gibt“, erzählt Melanie Fechner. 

 

Wie unterstützen Sie denn ganz konkret, wenn sich Bibliotheken zu dritten Orten entwickeln wollen? 

„Wir selbst beraten viel oder verweisen auf externe Expert:innen, die für die Begleitung eines längeren Prozesses engagiert werden können“, erklärt Melanie Fechner. Der Landesverband bietet Fortbildungen und konkrete Beratungsangebote für Verwaltung und Bibliotheken an. Was gehört alles zur Entwicklung eines dritten Ortes dazu? Wie kann ich diese Schritte gehen? Wie kann ich meine Kommune und meine Gemeindebevölkerung mitnehmen? Außerdem begleitet die Einrichtungsabteilung des Landesverbands beispielsweise Kommunen, die ihre Bibliothek weiterentwickeln wollen und machen konkrete Vorschläge, wie Räume gut möbliert werden können. 

Im Idealfall entstehen solche Kooperationen aus einem Zusammenspiel zwischen Verwaltung und Bibliothek. Ganz wichtig, ist aber das Engagement und die Offenheit der Bibliothek auf andere Akteur:innen zuzugehen und eine Zusammenarbeit anzustoßen. 

 

In ländlich geprägten Regionen sind Angebote der Daseins-Vorsorge oft besonders schlecht zu erreichen. Mit den Fahrbüchereien machen Sie auch hier Angebote. Wie können wir uns das konkret vorstellen?  

Die Busse des Landesverbands Schleswig-Holstein fahren Gemeinden mit weniger als 5000 Einwohner:innen an. Jede Fahrbibliothek hat ihre feste Route und feste Gemeinden, die sie alle drei oder vier Wochen besucht. „Wir haben meist sehr stabile zweier Teams in den Bussen“, erzählt Melanie Fechner. „Die Kolleg:innen kennen die Menschen, die sie besuchen, sehr gut und begleiten sie teilweise auch über Jahre.“ Sie kommen ins Gespräch, empfehlen Bücher oder andere Medien und können die Menschen manchmal auch an weiterführende Angebote vermitteln. Die Beziehungsarbeit ist hier genauso wichtig, wie die bibliothekarische Arbeit. 

Die Haltezeiten der Bücherbusse betragen momentan zwischen 20 Minuten bis hin zu 2, 3 Stunden – sollen aber verlängert werden, damit besser inhaltlich gearbeitet werden kann. „Wir haben gute Erfahrungen mit längeren Haltezeiten an Schulen und Kindergärten gemacht“, sagt Melanie Fechner. Hier kommen Schulklassen zu Führungen in die Fahrbibliotheken, die Mitarbeiter:innen lesen den Kindern vor, zeigen Bilderbuchkinos an der Leinwand und geben Rechercheschulungen. 

Die begrenzten Haltezeiten und der enge Raum machen den Schritt zum dritten Ort in Fahrbibliotheken nicht leicht. Doch Ansätze gibt es viele: In einem der Bücherbusse gibt es seit neuesten einen 3-D-Drucker mit Benutzer:innenarbeitsplatz. In einem anderem steht ein Digitalisierungsgerät für Fotografien bereit – ein interessantes Angebot, insbesondere für ältere Menschen. Das weckt Neugier und bietet den Nutzer:innen die Möglichkeiten, diese Technik auszuprobieren.  

Außerdem hat „eine Kollegin beispielsweise eine Sprechstunde eingerichtet, speziell für digitale Lesefördermedien“, erzählt Melanie Fechner. Unterdessen kommen auch Erzieher:innen und Eltern aus den umliegenden Dörfern zu der Haltstelle, um sich die Medien anzuschauen und zu überlegen, wie sie diese in ihren Alltag in der Schule, Kita oder zu Hause integrieren können.  

„Wir haben uns in den letzten Jahren oft die Frage gestellt, wie wir mit den Fahrbibliotheken noch mehr zu dritten Orten werden können“, sagt Melanie Fechner. In Ideenschmieden hat der Landesverband deshalb gemeinsam mit dem Landesverband der Volkshochschulen und den Markttreffs Schleswig-Holstein* die Menschen in den Gemeinden befragt. Was gibt es bei euch vor Ort? Was wünscht ihr euch?  

Neben Medientankstellen – große Schänke im Markttreff, die sich selbstständig mit dem Benutzer:innenausweis bedienen lassen – entstand so das Konzept der Kulturzeit. Hier veranstalten die Gemeinde oder Akteur:innen vor Ort selbst Aktionen wie Vorlesen auf Plattdeutsch oder eine Leseolympiade. Es wird gegrillt oder ein Kuchenbuffet organisiert und die Fahrbibliothek kommt mit einem Angebot vorbei. „Wir haben beispielsweise eine Autoren-Lesung mitgebracht oder ein Gaming-Turnier durchgeführt, das hatte sich eine Gemeinde gewünscht“, lächelt Melanie Fechner.  

Momentan sind neue Bücherbusse in der Konzeption – mit flexibler Inneneinrichtung zur multifunktionalen Nutzung z.B. auch als Seminarraum. „Dann können wir Workshops anbieten“, freut sich Melanie Fechner oder auch mit anderen Anbieter:innen zusammenarbeiten. Beispielsweise haben die Landfrauen angefragt, ob sie die Bücherbusse für ihre Kurse nutzen können, in denen sie ältere Menschen in der Nutzung von Smartphones begleiten und schulen.  

Schritt für Schritt geht es voran. Und sowieso sind die Fahrbibliotheken auch heute schon ein Ort, an dem sich Menschen begegnen – wenn auch manchmal nur nebenbei. „Es soll schon passiert sein“, schmunzelt Melanie Fechner, dass sich Nachbar:innen zufällig vorm Bücherbus getroffen haben und so viel zu reden hatten, dass der Bus schon weitergefahren ist, bevor sie überhaupt reingekommen sind. 

 

*(kommunal geförderte Treffpunkte, die auf den drei Säulen basieren Nahversorgung, Gesundheitsfürsorge und Treffpunkt)