Publikation

Demokratie lokal stärken! Perspektiven und Praxis der kommunalen Demokratiebildung

Werkstatt zur fachlichen Vernetzung und Entwicklung von Kommunen

17.12.2024

In vielen Kommunen existieren unterschiedliche Begriffe, Ansätze und Vorstellungen, wenn es um Demokratiebildung geht. Ob Demokratiebildung, politische Bildung, Demokratieförderung oder Demokratieerziehung – hinter diesen Begriffen stehen zum Teil vergleichbare, zum Teil unterschiedliche Perspektiven und Herangehensweisen, mit denen Kommunen dieses wichtige Thema gestalten. In der Praxis zeigt sich, dass die Zugänge genauso vielseitig sind wie die Begriffe selbst, geprägt von den spezifischen Herausforderungen und Zielen vor Ort.

Entscheidend für eine gelingende Demokratiebildung ist nicht so sehr der Begriff, sondern die Strukturen und Rahmenbedingungen vor Ort. Die kommunale Verwaltung spielt eine zentrale Rolle, wenn es um die strategische Planung, Koordination und Kooperation zwischen verwaltungsinternen und -externen Akteur:innen geht.

In unserer Veranstaltung wurden die vielfältigen Begriffe und Zugänge zum Anlass genommen, einen Raum für interkommunalen Austausch zu kommunaler Demokratiebildung zu schaffen.

Einführung: Demokratiebildung​ in der Kommune

Die Demokratie und die Werte des demokratischen Miteinanders stehen unter Druck. Oft ist auch die Rede von der Krise der der (liberalen) Demokratie. Populismus, Rechtsextremismus und die Erosion demokratischer Werte sind in diesem Kontext nicht nur Schlagworte, sondern lassen sich als Bedrohungen für die demokratische und offene Gesellschaft durch zahlreiche Studien der letzten Jahre nachweisen (Vgl. u.a. Mitte Studie 2023 und Autoritarismus-Studie 2024).(1)

Angesichts dessen sind nicht nur wir als Gesellschaft, sondern ebenso alle demokratischen Institutionen gefragt, die Demokratie zu schützen und zu stärken. Das gilt insbesondere auch für die Kommune.

Die Kommune nimmt eine Schlüsselfunktion ein. Sie kann lebensweltnahe Interaktionen mit den vor Ort lebenden Menschen herstellen und Demokratiebildung sowie Partizipationsangebote lebensweltorientiert und niedrigschwellig anbieten.

Dabei stellen sich für Kommune Fragen wie:

  • Was kann Demokratiebildung in der Kommune erreichen?
  • Wer soll mit Demokratiebildungsangeboten erreicht werden?
  • Wo findet Demokratiebildung in der Kommune statt?

Wichtig in diesem Kontext ist: Demokratiebildung ist nicht gleich Radikalisierungsprävention. Demokratiebildung hat in erster Linie die Aufgabe „Menschen für die (Zukunfts-)Gestaltung von Demokratie zu gewinnen sowie deren individuelle Mündigkeit, Urteils- und Handlungsfähigkeit zu fördern, nicht, sie als Objekte staatlicher Maßnahmen anzusprechen und Extremismen abzuwehren“.(2)

Dementsprechend gilt es, Demokratiebildung als einen vielfältigen Ansatz zu begreifen, der den kommunalen Handlungsmöglichkeiten gerecht wird. Im Mittelpunkt sollte stehen, die Menschen vor Ort in ihren jeweiligen Lebenslagen zu erreichen und Ihnen Angebote zu machen, um Demokratie tatsächlich zu erfahren und an ihr zu partizipieren.

Kommune als Keimzelle der Demokratie bedeutet, dass Kommune dort präsent sein muss, wo sich ihre Zielgruppen aufhalten. Das heißt neben klassischen Formaten wie Vorträgen, die primär bereits Interessierte und Engagierte erreichen, braucht es niedrigschwellige Bildungs- und Beteiligungsangeboten, um Menschen an ihren vertrauten Orten, in den Ortsteilen, Quartieren und Stadtteilen zu begegnen.

Mit Blick auf den kommunalen Handlungsrahmen kann zudem das kommunale Bildungsmanagement einen entscheidenden Beitrag leisten. Durch die Entwicklung einer nachhaltigen und gemeinsam abgestimmten Strategie, die Kooperation mit den verschiedenen relevanten Akteur:innen aus Verwaltung und Zivilgesellschaft und die Koordination hiermit verbundener organisatorischer und inhaltlicher Aufgaben, übernimmt das Bildungsmanagement eine entscheidende Schnittstellenfunktion. Welche Rolle Kommune konkret einnehmen kann, zeigen die die kommunalen Praxisimpulse dieser Veranstaltung.

Kommunalreise – Einblicke in unterschiedliche Herangehensweisen und Schwerpunkte kommunaler Demokratiebildung

Im Rahmen der Kommunalreise zeigten vier Mitarbeiter:innen aus Kommunalverwaltungen Ihre Zugänge und Schwerpunkte im Bereich Demokratiebildung in Kurzimpulsen auf, die zum anschließenden Austausch anregten.

Dr. Felix Breuning, Bildungsmanager politische Bildung und Koordination kinderfreundliche Kommune, Bildungsbüro Landkreis Stade

Herr Breuning ist als Bildungsmanager für politische Bildung und die Koordination von kinderfreundlicher Kommune tätig. Angesiedelt ist seine Stelle im Bildungsbüro, welches Teil des Amts für Wirtschaft, Verkehr und Bildung ist. Das Themenfeld politische Bildung, begriffen als Querschnittsthema, wird weit gefasst und beleuchtet unterschiedliche Facetten des gesellschaftlichen Zusammenlebens. Bearbeitet wird es insbesondere in zwei Säulen: Neben einzelnen Veranstaltungen und Projekten wie beispielsweise einem Fachtag für Bildungsakteur:innen zu „Politischer Bildung gegen (israelbezogenen) Antisemitismus“, widmet sich Herr Breuning insbesondere dem Pilotvorhaben, den Landkreis Stade als „kinderfreundlichen Landkreis“ aufzustellen. Ziel des über fünf Jahre laufenden Zertifizierungsprogramms ist, die Kinderrechte in der Landkreisverwaltung, insbesondere durch Beteiligung, zu stärken und hierzu ressortübergreifend mit dem Jugendamt und weiteren Ämtern zusammenzuarbeiten.

Darüber hinaus hat es einen internen Lern- und Aushandlungsprozess gegeben, was Kern der politischen Bildung im Landkreis Stade sein soll, welchen Beitrag Verwaltung hier leisten kann und darf (Beutelsbacher Konsens) und wie ernstgemeinte Beteiligung in der Kommune gelingen kann.

In Zukunft möchte man im Landkreis die Kooperation mit politischen Bildungsakteur:innen weiter vertiefen.

Linda Jo Siemon, Demokratiebildung und historische Bildung, Bildungsbüro StädteRegion Aachen

Auch in der StädteRegion Aachen werden vielfältige Projekte im Bereich Demokratiebildung umgesetzt. In der StädteRegion Aachen fokussieren sich viele Angebote auf die Bereiche der politisch-historischen Bildung sowie auf Partizipation von Kindern und Jugendlichen. Zudem wird die Vernetzung von pädagogischen Fachkräften mit schulischen Bildungseinrichtungen und außerschulischen Lernorten in der Region besonders gefördert. Auch die ämterübergreifende Kooperation, wie mit den Bereichen kulturelle Bildung oder dem kommunalen Integrationszentrum sowie die Kooperation mit der Zivilgesellschaft rücken mehr in den Vordergrund.

Das Bildungsbüro fördert im Rahmen der AG „politische Bildung“ die Vernetzung von Schulen und außerschulischen Lernorten und organisiert unter anderem gemeinsame Fachtage. Außerdem werden Förderprogramme wie Gemeinsam MehrWert oder DemokratieLeben umgesetzt. Zu den eigenen Formaten zählen die Organisation und Umsetzung gemeinsamer Fahrten zu außerschulischen Lernorten, Filmvorführungen, die Organisation von Fachtagen sowie Gedenkveranstaltungen und vieles weiteres. Beispielsweise wurde das Projekt „Route des Erinnerns“, zusammen mit mehreren Kooperationspartner:innen umgesetzt. Hierbei handelt es sich um eine Website, um die Vor- und Nachbereitung von Besuchen an außerschulischen Lernorten in der StädteRegion zu unterstützen. Darüber hinaus wird die Zusammenarbeit mit dem kommunalen Integrationszentrum sowie dem Amt für Kinder, Jugend und Familie besonders forciert, um Projekte wie „Schule ohne Rassismus“ oder die Partizipation von Kindern in der Kita zu stärken.

Martina Dowidat, Stabstelle I.0, Büro der Oberbürgermeisterin, Stadt Kaiserslautern 

Martina Dowidat stellte exemplarisch den Lautrer DemokratieLaden vor. Zentral in der Kaiserslauterner Innenstadt gelegen, hat die Verwaltung für einige Wochen im März 2024 einen niedrigschwelligen Ort der Begegnung, zum Informieren und für Unterhaltung geschaffen und gleichzeitig durch die Zwischennutzung leerstehender Räumlichkeiten die Innenstadtwirtschaft belebt. Das Projekt der Stabstelle Bildung ist in Kooperation und unter Mitwirkung vieler verschiedener Akteur:innen entstanden: Frau Dowidat hebt die verwaltungsinterne Zusammenarbeit sowie Unterstützung der unterschiedlichen Stellen, wie bspw. dem Hausmeisterservice oder der Druckerei hervor. Auch externe und zivilgesellschaftliche Akteur:innen, bspw. Stiftungen und die Landeszentrale für politische Bildung sowie auch das Jugendparlament oder die Landesschüler:innenvertretung haben zum Erfolg des Projekts beigetragen.

Neben Veranstaltungen und Mitmach-Angeboten, wie ein Pub Quiz, gab es auch ein offenes Ladenkonzept, bei den sich Passant:innen über verschiedene Themen informieren und mit anwesenden Akteur:innen ins Gespräch kommen konnten. Neben medialem Interesse und der stadtweiten Präsens des Themas Demokratie fanden auch die Workshops für Schulen – trotz kurzer Bewerbungsphase – sehr hohe Resonanz.

Darüber hinaus konnte die Stadt ihr Netzwerk ausweiten und stärken und hat wertvolle Erfahrungen für künftige Projekte sammeln können.

Aneta Szcześniewicz, Kulturelle und politische Bildung, Frankfurt-Słubicer Kooperationszentrum, Frankfurt (Oder) 

Das Frankfurt-Słubicer Kooperationszentrum stellt die Stärkung des zivilgesellschaftlichen Engagements und die Verknüpfung von Bildung mit praktischer Mitbestimmung in den Mittelpunkt ihres Ansatzes zu politischer Bildung. In Frankfurt (Oder) existiert ein aus vielfältigen Akteur:innen bestehendes Netzwerk (z. B. Jugendarbeit Frankfurt e. V., VHS, Migrationsnetzwerk Think und viele weitere), deren vielfältigen Kooperationen dazu beitragen, unterschiedliche Perspektiven auf die Demokratiearbeit mit einzubringen. Dadurch können koordiniert und mitorganisiert durch das Frankfurt-Słubicer Kooperationszentrum innovative Lern- und Mitmachtangeboten wie BürgerPicknick, Sommercamp der Partnerstädte oder der kommunale Entwicklungsbeirat angeboten werden.

Gleichzeitig gibt es das Bewusstsein, dass es neue Formate und Beteiligungsangebote braucht. Deshalb soll die AG Politische Bildung weiter gestärkt, neue Lernangebote entwickelt und mehr Beteiligungsmöglichkeiten geschaffen werden. Zentral für die Doppelstadt ist es, die Bürger:innen und insbesondere Kinder und Jugendliche stets in die Gestaltung der Projekte und Vorhaben einzubeziehen. Außerdem arbeiten die Kolleg:innen Frankfurt-Słubicer Kooperationszentrum daran, Angebote der politischen Bildung in einem digitalen Bildungsportal zu veröffentlichen und damit zugänglicher zu machen.

Fazit

Die Veranstaltung hat gezeigt, dass in Kommunen verschiedene Ansätze und Zugänge für kommunale Demokratiebildung existieren. Neben einer gemeinsamen Haltung der für das Thema verantwortlichen kommunalen Mitarbeiter:innen, das Thema in der Kommune von unterschiedlichen Perspektiven zu bearbeiten, hat die Veranstaltung gezeigt, wie zentral niedrigschwellige und lebensweltnahe Angebote durch Kommune sind. Die Veranstaltung hat außerdem gezeigt, wie wichtig und gewinnbringend der Austausch über die kommunalen Grenzen hinaus ist, um voneinander zu lernen und sich gegenseitig im Handeln zu bestärken.

 

(1) Decker, Oliver et al. (Hg.) (2024): Vereint im Ressentiment. Autoritäre Dynamiken und rechtsextreme Einstellungen. Online verfügbar unter: https://www.boell.de/sites/default/files/2024-11/leipziger-autoritarismus-studie-2024-vereint-im-ressentiment-autoritaere-dynamiken-und-rechtsextreme-einstellungen.pdf, zuletzt abgerufen am 18.11.2024.

Zick, Andreas et. (Hg.) (2024):Die distanzierte Mitte. Rechtsextreme und demokratiegefährdende Einstellungen in Deutschland 2022/23, S.97. Online verfügbar unter: https://www.fes.de/index.php?eID=dumpFile&t=f&f=91776&token=3821fe2a05aff649791e9e7ebdb18eabdae3e0fd, zuletzt abgerufen am 18.11.2024.

(2) Gill, Thomas/Achour, Sabine (2019). »Liebe Teilnehmende, liebe Gefährderinnen und Gefährder!« Extremismusprävention als politische Bildung? Journal für Politische Bildung 9 (2), 32–36.

Ihre Ansprechpersonen:
Demokratiebildung,Kommunales Bildungsmanagement

Elmar Dörfers

Referent Demokratiebildung

DKJS Hamburg mit Bremen und Niedersachsen
Winterhuder Weg 86
22085 Hamburg

+49 (0)40 380 71 53 52
elmar.doerfers@dkjs.de

Demokratiebildung,Kommunales Bildungsmanagement

Nele Groth

Referentin Räume für Bildung | Demokratiebildung

DKJS Hamburg mit Bremen und Niedersachsen
Winterhuder Weg 86
22085 Hamburg

+49 (0)40 380 71 53 44
nele.groth@dkjs.de

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